Inventar der Dinge

Ein Beitrag aus ALBERT Nr. 6 "Katalyse"

Ob Feuerwerksraketen, Margarine oder Gummibärchen: Viele Dinge des täglichen Bedarfs entstehen mithilfe katalytischer Prozesse oder wirken selbst als Katalysatoren. Ein ABC unseres durch und durch katalytischen Alltags

Text: Nora Lessing

A

Klick-surr. Den Analog lm fummeln Retrofotografen im Dunkeln in den Apparat, denn sonst schnappen sich die Silberionen darin Elektronen aus dem Sonnenlicht und werden so zu elementarem Silber reduziert. Tränkt man den Film später in Entwicklerflüssigkeit, kommt eine katalytische Reaktion in Gang: Silberionen in unmittelbarer Nachbarschaft zu bereits vorhandenen Silberkeimen nehmen ebenfalls Elektronen auf. Da elementares Silber und somit belichtete Stellen dunkler aussehen als Silberionen an unbelichteten Stellen, entsteht ein Bild. Hat man den Film vor dem Knipsen in die Sonne gehalten, ist dieses komplett schwarz.

B

Dass Astronauten auf der ISS nicht im Dunkeln tappen, verdanken sie mobiler Energieversorgung durch Brennstoffzellen. Diese enthalten Sauerstoff und energiereiche Brennstoffe wie Methan oder Wasserstoff, die Elektronen an den Sauerstoff abgeben. Entscheidend für die Umwandlung chemischer in elektrische Energie in der Brennstoffzelle ist die Beschichtung der darin verbauten Elektroden mit einem Katalysator wie Platin, der die Reaktion massiv beschleunigt. Der dabei gewonnene Strom lässt sich nutzen, um Raumkapseln zu beleuchten –und zunehmend auch dafür, irdische Anwendungen zu versorgen.

C

Er wird weltweit gern getrunken und mithilfe einer biokatalytischen Reaktion gewonnen: Hefepilze fermentieren den über viele Wochen in Fässern lagernden Sud ausgepresster Äpfel  und wandeln mittels Enzymen den darin enthaltenen Fruchtzucker in Alkohol und Kohlensäure um. Süßer Apfelbrei wird so zu einem perlenden, süßlich-herben Getränk mit bis zu acht Prozent Alkoholgehalt. Darauf ein Glas Cidre.

D

Abgaswolken sind der natürliche Feind des nicht-motorisierten Städters. Dafür, dass dieser dennoch genug Luft bekommt, sorgt der in Motoren verbaute Dreiwegekatalysator. Der „Kat” wandelt erstens Kohlenstoffmonoxid, zweitens Stickoxide und drittens unverbrannte Kohlenwasserstoffe via Katalyse in gesundheitlich weniger bedenkliche Abgase um. Dass dabei klimaschädliches Kohlenstoffdioxid frei wird, steht auf einem anderen Blatt.

E

Möchten Sie eine Tüte dazu? Rund eine Billion Einkaufstüten aus Kunststofffolie gehen jedes Jahr weltweit über die Ladentheke. Hergestellt werden sie aus Erdöl mittels Kettenpolymerisation: Vermittelt durch einen Katalysator verbinden sich hier chemisch strukturgleiche Moleküle zu einer Polymerkette. Je nachdem, welcher Katalysator zugegeben wird, kommt die Reaktion auch bei niedrigen Temperaturen und geringem Druck in Fahrt, was die Herstellungskosten niedrig hält.

F

Knall, bum, peng: In Feuerwerksraketen laufen komplexe chemische Reaktionen ab. Ob eine Rakete nach dem Zünden hoch in den Himmel hinaufsteigt oder schon in Bodennähe explodiert, ist abhängig von der Katalysatormenge im Explosionsgemisch. So beschleunigt etwa die Zugabe von Manganoxiden den Abbrennprozess, während Zusatzstoffe wie Bleioxide ihn verlangsamen.

G

Gelatine sorgt dafür, dass Gummibärchen zwischen den Zähnen kleben, Fructose-Glucose-Sirup liefert den süßen Geschmack. Hergestellt wird der Sirup aus Gemüse wie Mais oder Kartoffeln, die den Ausgangsstoff Stärke liefern. Mithilfe verschiedener Enzyme zerlegen Mikroorganismen diesen sodann in seine Bestandteile. Das Ergebnis des biokatalytischen Prozesses: Traubenzucker, Glucose und andere Einfachzucker, die sich wiederum zu Sirup weiterverarbeiten lassen.

H

Sie ist ein Biokatalysator für alle Fälle: Hefe setzt mittels Enzymen Zucker in Kohlenstoffdioxid und Alkohol um. Dieser Prozess wird bei der Fermentierung von Cidre ebenso genutzt wie beim Brotbacken oder Bierbrauen, beim Keltern von Wein oder beim Vergären von Essig. Auch bei der Herstellung von Kraftstoffen wie Ethanol ist Hefe im Spiel, sie lässt sich zum Binden von Schadstoffen in Abwässern einsetzen und wirkt als Inhaltsstoff von Arzneien sogar gegen Durchfallerkrankungen.

I

Kopfschmerzen, Menstruationsbeschwerden, Arthritis: Schon geringe Dosen Ibuprofen wirken schmerzlindernd, höher dosiert entfaltet das Medikament zudem entzündungshemmende und fiebersenkende Wirkung. Hergestellt wird Ibuprofen seit den 1990er Jahren katalytisch mithilfe von Palladium – und auch in Hinblick auf die Wirkungsweise von Ibuprofen ist Katalyse im Spiel. So hemmt der Wirkstoff die körpereigenen Enzyme Cyclooxygenase I und II und stoppt so Entzündungsprozesse.

J

Sie sind ausgeblichen, weich und angesagt: Jeans im Stonewashed-Look. Dieser wird kreiert, indem man den Stoff zusammen mit Steinen in riesigen Waschmaschinen wäscht. Alternativ kann man ihn mit Cellulasen behandeln. Diese Enzyme katalysieren Reaktionen, bei denen winzige Faserrisse entstehen und Farbstoffe abgebaut werden. Das spart Kosten und schont die Umwelt, denn im Vergleich ist der Verbrauch an Wasser, Energie und Stoff deutlich geringer.

K

Kleber für den Hausgebrauch beginnen zu haften, wenn sie mit Licht, Feuchtigkeit oder Sauerstoff in Kontakt kommen. Bei vielen Hochleistungsklebstoffen kommt die Reaktion jedoch erst durch das Verrühren verschiedener Komponenten in Fahrt. Katalysatoren sorgen dafür, dass dies zügig vonstattengeht: Durch die Zugabe von Metallionen etwa härten unter Luftausschluss haftende Kleber besonders schnell aus. Nach dem Vorbild von Muscheln haben Forscher*innen übrigens ein Klebeprotein entwickelt, das mit UV-Licht auch unter Wasser aushärtet. 

L

Erst flüssig, dann fest: Lack enthält Lösungsmittel, die beim Auftragen verdunsten. Zurück bleibt ein Film aus verschiedenen Komponenten wie Farbstoffen und Harzen. Katalytisch aktive Trockenstoffe – etwa Schwermetallverbindungen – sorgen dafür, dass dieses Gemisch aushärtet und das lackierte Objekt vor Korrosion schützt.

M

Margarine besteht zum größten Teil aus katalytisch gehärteten pflanzlichen Ölen. Vermittelt durch einen Katalysator wie Nickel lagern sich im Herstellungsprozess Wasserstoffatome an ungesättigte Fettsäurereste des Pflanzenöls an. So wird aus ungesättigt gesättigt, aus flüssig fest. Das Ergebnis ist ein kostengünstiges Streichfett, das lange haltbar bleibt.

N

Ohne Nitratdünger wäre das Weltbevölkerungswachstum im 20. Jahrhundert undenkbar gewesen. Benötigt wird zu dessen Herstellung Ammoniak, der im Rahmen der Haber-Bosch-Synthese gewonnen wird: Unter hohem Druck und bei mehreren Hundert Grad hilft hier der Katalysator Eisen dabei, Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak umzusetzen.

O

Wer Orangensaft aus Konzentrat trinkt, holt sich Katalyse ins Glas. Gewonnen wird dieser nämlich aus filtriertem Saft und Fruchtfleisch, das mithilfe von Enzymen „ausgepresst” wird. So zersetzen etwa Pektinasen den Baustoff Pektin in den Zellwänden der Frucht – und holen so auch den letzten Tropfen heraus.

P

Wer in Corona-Zeiten ein verdächtiges Kratzen im Hals spürt, eilt zum PCR-Test. Beim Rachenabstrich bleiben mikroskopisch kleine Erbgutsequenzen am Wattestäbchen kleben. Zusammen mit einem Enzym aus der Gruppe der Polymerasen und anderen Substanzen wird die Probe nun in ein kleines Gefäß gegeben. Sollte sich darin Erbgut von SARS-CoV-2 befinden, beginnt das Enzym, Kopien davon herzustellen. Einige Stunden später liegt genug Material vor, um das vervielfältigte Erbgut mit einem fluoreszierenden Stoff anzufärben. Wenn die Probe leuchtet, ist der Test positiv.

Q, R, S

Was Quark, eingelegter Rotkohl und Sauerkraut gemeinsam haben? Alle drei entstehen mittels Milchsäuregärung, und die verläuft katalytisch. Bei der Quarkherstellung helfen Milchsäurebakterien, die in der Milch enthaltenen Eiweiße in eine feste Form zu überführen: Die Bakterien bauen mittels Enzymen Milchzucker ab, wobei Säure entsteht. Die sorgt dafür, dass das Milcheiweiß fest wird. Durch Filtration wird es von der Molke getrennt – und fertig ist der Quark. Da Milchsäurebakterien nicht nur in Milch, sondern praktisch überall anzutreffen sind, braucht es für die Herstellung von Sauerkraut aus Weiß- oder Rotkohl sogar nichts weiter als den Kohl und ein luftdichtes Gefäß. Analog zu den Prozessen bei der Quarkherstellung verdauen die Bakterien unter Sauerstoffausschluss den Zucker aus dem Kohl und wandeln ihn enzymatisch in Milchsäure um. Das führt zu einem Absinken des pH-Wertes und schafft somit Bedingungen, unter denen andere Keime kaum überleben können. So wird der Kohl gesäuert und zu einem bekömmlichen Lebensmittel mit langer Haltbarkeit.

T

Auf dem Balkon schießt sie in die Höhe, im dunklen Hausflur lässt sie traurig die Blätter hängen: Die lichtliebende Topfpflanze ist auf einen hohen Photonenbeschuss angewiesen, denn die Lichtteilchen ermöglichen eine chemische Reaktion, mit deren Hilfe sie Nährstoffe herstellt. Empfänger der Lichtenergie ist der grüne Blattfarbstoff Chlorophyll. Hat er Photonen aufgenommen, kommt eine katalytische Reaktion in Gang, bei der Wasser und Kohlendioxid aus der Luft nach und nach in nährenden Zucker umgewandelt werden. „Abfallprodukt” der Fotosynthese ist Sauerstoff.

U

Bei Fahrten über Land steigt einem mitunter der „Duft” gedüngter Felder in die Nase. Verantwortlich dafür sind Bodenbakterien, die Harnstoff im Dünger – lateinisch Urea – mithilfe des Enzyms Urease zu Ammoniak und Kohlenstoffdioxid umsetzen. Im Gegensatz zum zersetzungsbeständigen Harnstoff, den Menschen und Tiere als ungiftiges Stoffwechselprodukt ausscheiden, ist Ammoniak für Pflanzen als Nährstoffquelle nutzbar.

V

Sie schützen vor Entzündungen, fördern die Konzentration, helfen bei der Verdauung: Dreizehn Vitamine benötigt der menschliche Körper, um funktionstüchtig zu sein. Im Gegensatz zu Pflanzen kann er jedoch nur zwei der komplexen organischen Moleküle selbst herstellen, weshalb sie über die Nahrung in den Körper gelangen müssen. Hier dienen die Vitamine als Baustoffe für Enzyme, die Stoffwechselreaktionen katalysieren.

W

Im Schonwaschgang schleudert die Wäsche bei nur dreißig Grad und wird trotzdem sauber. Dass so niedrige Temperaturen ausreichen können, um Salatöl, Erdbeermarmelade oder sogar Blutflecken aus weißen Blusen auszuwaschen, ist das Werk von Enzymen. Denn Waschmittel enthalten eine ganze Reihe an Biokatalysatoren, die Zucker verdauen, Fette lösen und Eiweiße zersetzen.

X

Etwa 20.000 Tonnen Xanthan werden jedes Jahr in der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie verarbeitet. Der Zusatzstoff E415 – ein für den Menschen unverdaulicher Mehrfachzucker – sorgt als Gelier- und Verdickungsmittel dafür, dass Ketchup und Mayonnaise ebenso zäh fließen wie Shampoo und Flüssigseife. Produziert wird Xanthan von Bakterien der Gattung Xanthomonas, die Nährstoffe biokatalytisch zu Xanthan umsetzen.

Y

Als Nahrungsmittel ist sie hierzulande nahezu unbekannt, im Magen vieler Europäer*innen landet sie trotzdem – zumindest in Auszügen. Aus der optisch und geschmacklich an die Süßkartoffel erinnernden Yamswurzel lässt sich katalytisch Diosgenin gewinnen, woraus sich das Sexualhormon Progesteron herstellen lässt. Als Inhaltsstoff der Antibabypille verhindert Progesteron den Eisprung und schützt somit vor ungewollter Schwangerschaft.

Z

Wer damit schrubbt, ist klar im Vorteil: Zahnpasta enthält eine ganze Reihe von Stoffen, die unter anderem Entzündungen vorbeugen und der Bildung von Zahnstein entgegenwirken. Zusatzstoffe wie das Enzym Glucose-Oxidase oder Enzyme aus der Familie der Lactoperoxidasen helfen dabei, die Vermehrung von Bakterien im Mund durch Bildung von Wasserstoffperoxid zu hemmen, was vor Karies schützt.

Stand: Dezember 2020