Planetar denken!

Ein Beitrag aus ALBERT Nr. 9 "Wasser"

Viele Wasserprobleme unserer Zeit fußen auf der Annahme, dass Wasser unerschöpflich sei. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wir brauchen dringend einen neuen Wasser-Ethos, der diese Begrenztheit respektiert. 

Ein Plädoyer von Dieter Gerten

Auf unserem „blauen Planeten“ herrschen unzählige Wasserprobleme: Verbreitete Wasserknappheit, Übernutzung und Verschmutzung ober- und unterirdischer Wasservorräte, Artenschwund in Gewässerökosystemen sowie zunehmende Wasserkonflikte sind nur einige Beispiele. Die Gründe dafür liegen im Kern in einer Schieflage von Wasserangebot und -nachfrage sowie an fragwürdigen Grundannahmen über den Wasserkreislauf. 

Genau betrachtet ist die global verfügbare Wassermenge ziemlich limitiert, denn einen Großteil davon können wir gar nicht nutzen: das salzige Meerwasser und das in tiefen Grundwasserschichten und im Eis gebundene Süßwasser oder auch das in unwegsamen Gegenden fließende und für den Erhalt von Ökosystemen zu bewahrende Wasser. So bleibt uns ein nachhaltig nutzbares Volumen von nur wenigen Tausend Kubikkilometern übrig. Der Klimawandel verschärft die räumlich und zeitlich sehr unterschiedliche Verteilung dieser Menge noch. Zudem ist der globale Wasserverbrauch in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen – infolge der größeren Weltbevölkerung, veränderter Konsummuster sowie mangelhafter Wasserbewirtschaftung. 

Lange herrschte die Idee vor, Wasser müsse jederzeit und überall für jegliche Zwecke verfügbar sein. Die Wurzeln dieses Denkens lassen sich mindestens bis zu theologisch begründeten frühneuzeitlichen Vorstellungen von unerschöpflichen Quellen zurückverfolgen. Dieser Paradiesgedanke gipfelte in den wasserbaulichen Großprojekten des letzten Jahrhunderts, die trotz der ökologischen und sozioökonomischen Probleme, die sie verursacht haben, in einigen Ländern immer noch weiterverfolgt werden. Etwa seit der Jahrtausendwende zeichnet sich aber ein Paradigmenwechsel ab. Das zugrunde liegende neue Denken „weicher“ Wassernutzung propagiert den Schutz von Ökosystemen, die Wiederbelebung dezentraler Wasserversorgungssysteme, die Minderung des Wasserbedarfs sowie die Achtung des Menschenrechts auf sauberes Wasser und angemessene Sanitärversorgung. Zur Stärkung dieser Entwicklung hin zu einer nachhaltigeren Wasserkultur braucht es gerade in Zeiten des Klimawandels und geopolitischer Spannungen entschlossenes Handeln. 

An der Realisierung dieser Vision können alle mitwirken: durch Wassereinsparungen in Haushalt, Gewerbe und Landwirtschaft, den Verzicht auf wasserintensive Konsumprodukte oder die konsequente Umsetzung der Agenda 2030, der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und Deutschlands Nationaler Wasserstrategie. In der Landwirtschaft ist eine effizientere Verwendung von Wasser zum Beispiel durch Umlenkung der Verdunstungspfade des „grünen“ Wassers, also des Regenwassers, im Ackerboden möglich. Dies erhöht die Erträge ganz ohne Bewässerung mit wertvollem „blauem“ Wasser aus Flüssen, Reservoiren und Grundwasserspeichern. 

Das „grüne“ Wasser ist auch überregional von Bedeutung: Was in der einen Region verdunstet, bringt oft woanders den Regen. Der Klimawandel und Landnutzungsänderungen gefährden indes die Stabilität solcher „Telekonnektionen“ mit der Folge, dass die Wasserzufuhr auch abseits der direkt betroffenen Regionen unsteter wird, wie etwa in Anrainerstaaten des von Dürren und Rodungen geplagten Amazonasregenwalds. 

Viele Wasserprobleme sind der althergebrachten Vorstellung grenzenloser Wasserverfügbarkeit in einem sich ewig erneuernden Kreislauf geschuldet, dessen vermeintliche „Aussetzer“ zu beheben seien. Im Anthropozän ist aber dieses Denken selbst zu korrigieren: Wir müssen die vielfältigen Funktionen des Wassers für die Stabilität von Erde und Gesellschaften anerkennen, Grenzen für menschliche Eingriffe in den Wasserkreislauf respektieren und auf dieser Basis einen planetaren Wasser-Ethos entwickeln.

Expert:in

Der Geograf Dieter Gerten ist Professor für Klimasystem und Wasserhaushalt im Globalen Wandel an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Leiter der Arbeitsgruppe „Sicherer Handlungsraum Landbiosphäre (TESS)“ in der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Zum Thema ist sein Buch „Wasser: Knappheit, Klimawandel, Welternährung“ im Verlag C.H.Beck erschienen.

Stand: März 2024